W. Wiegrebe: : Albrecht von Haller als apologetischer Physikotheologe

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Titel
Albrecht von Haller als apologetischer Physikotheologe. Physikotheologie: Erkenntnis Gottes aus der Natur?


Autor(en)
Wiegrebe, Wolfgang
Reihe
Untersuchungen zum christlichen Glauben in einer säkularen Welt, Bd. 5
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
550 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Daniela Kohler

Die vorliegende Arbeit von Wolfgang Wiegrebe will Albrecht von Hallers Apologie des Christentums in Bezug auf physikotheologische Argumente untersuchen.

Dabei geht der Autor auf drei Werke Hallers ein, die er in Kapitel 4 ausführlich interpretiert. Als Grundlage dazu erörtert er im ersten Kapitel den Begriff der Physikotheologie, geht in Kapitel 2 auf die Forschungsliteratur ein und gibt in Kapitel 3 einige biographische Angaben zu Hallers Leben und Werk. Bemerkenswert sind das ausführliche Bibelstellenregister, das nach jedem Kapitel folgt, und der Anhang, in dem die anatomischen Begriffe erklärt werden, die mit dem Namen Albrecht von Hallers verbunden waren oder es noch immer sind.

Wiegrebe definiert den Begriff der Physikotheologie als theologische Richtung, in der Existenz und Wesen Gottes aus der Ordnung und Gesetzmässigkeit der Natur abgeleitet werden. Zweckmässigkeit, Schönheit und Nützlichkeit der Schöpfung offenbaren Gott in seinen drei zentralen Eigenschaften, der Allmacht (potentia), der Weisheit (sapientia) und der Güte (providentia). Als Grundlage der christlichen Phy-sikotheologie nennt Wiegrebe Römer 1, Vers 18 – 20. Der Begriff selbst komme erst im 17. Jahrhundert vor, so Wiegrebe mit Verweis auf das Evangelische Kirchenlexikon, ideengeschichtlich liessen sich aber bereits bei Diogenes von Apollonia (5. Jh. v. Chr.) und Cicero strukturell ähnliche Schlussfolgerungen finden. Als Beispiel für physikotheologisches Denken im 18. Jahrhundert bespricht Wiegrebe Kant, der in seinen vorkritischen Arbeiten, so Wiegrebe, davon ausgegangen sei, Gottes Wesen und damit zusammenhängend seine Existenz aus der Natur ableiten zu können. Den Fragen, ob Haller einige Schriften Kants aus der vorkritischen Phase gekannt habe und inwieweit Kant Hallers Arbeiten berücksichtigt haben könnte, geht Wiegrebe leider nicht nach.

Wiegrebe bespricht vier Arbeiten aus der Forschungsliteratur, die ihm wichtig scheinen im Zusammenhang mit Hallers physikotheologischen Grundhaltung und seiner Apologie für das Christentum. Vom frühen Aufsatz von Carl Baggesen Albrecht von Haller als Christ und Apologet 1865), distanziert sich Wiegrebe; er sieht darin Hallers physikotheologische Grundhaltung verkannt. Genauso verhalte es sich bei den Aufsätzen von M. Peters (Albrecht von Haller als Christ, 1937; Albrecht von Haller als Apologet, 1938). Maria Teresa Monti hingegen, so Wiegrebe, begründe Hallers Physikotheologie differenziert in ihrer Studie Physikotheologie und Mechanismus in der Physiologie Hallers, 1989. Leider unterlässt es Wiegrebe, auf grundlegende Werke wie dasjenige von Richard Toellner (Albrecht von Haller: über die Einheit im Denken des letzten Universalgelehrten, 1971), einzugehen, auch weist er nicht auf neuere Forschungsliteratur hin. Die bisher gründlichste Bestandesaufnahme von Hallers religiösem Denken durch Thomas Kaufmann (Über Hallers Religion in Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung, 2009) dürfte Wiegrebe beim Verfassen seiner Arbeit noch nicht bekannt gewesen sein, ebenso wenig Cornelia Rémis Aufsatz Religion und Theologie im von Hubert Steinke, Urs Boschung und Wolgang Proß herausgegebenen Sammelband (Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche, 2008).

In der Biographie Hallers, für die sich Wiegrebe vor allem auf Hallers Tagebücher und lediglich auf ältere Forschungsliteratur stützt, erläutert Wiegrebe Hallers naturwissenschaftliche Arbeiten und versucht, diese in den Zusammenhang mit Hallers physikotheologischen Überlegungen zu bringen. Auf der Grundlage seines wissenschaftlichen Hintergrunds als Doktor der Theologie und Professor für pharmazeutische Chemie analysiert Wiegrebe kompetent, wie Haller seine anatomischen und botanischen Experimente für physikotheologische Argumente nutzt.

Die erste Schrift Hallers, auf die Wiegrebe eingeht, sind die 1771 verfassten Briefe über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung. Wieso Wiegrebe aus der dritten Auflage aus dem Jahr 1788 zitiert und die Erstauflage auch in der Bibliographie nicht aufführt, wird nicht erklärt. Wiegrebe interpretiert, wie Haller seinen Glauben an den Literalsinn der Bibel mit seinen naturwissenschaftlichen Studien zu vereinbaren versucht; so zum Beispiel in der Diskussion um Jesus als Sohn Gottes. Haller gibt zu, nicht genau zu wissen, wie die göttliche Verbindung zu einem sterblichen Menschen entstehen kann, vergleicht das Problem aber mit der Übertragung der Bewegung eines Körpers auf einen anderen. Man wisse zwar, dass es diese Bewegung gebe, um was genau es sich dabei aber handle, könne nicht bestimmt werden. Wiegrebe geht davon aus, dass Haller damit das Newtonsche Gravitationsgesetz anspricht, mit dem die Planetenbewegung berechnet werden konnte. Indem Wiegrebe das Massenanziehungsgesetz K = Fxm1 x m 2 / r 2 erklärt und darauf hinweist, der Faktor f, die Gravitationskonstante, sei erst 1798 bestimmt worden, belegt er Hallers Ansicht, dass die Berechnung der Kraft K noch immer nichts über die Art der Kraft (was ist Gravitation) aussage.

Bei seiner Analyse von Hallers Briefen über einige noch lebender Freygeister Einwürfe wider die Offenbarung greift Wiegrebe auf die Ausgabe von 1778 zurück. Auch hier rechtfertigt er nicht, wieso er nicht die Erstausgabe aus den Jahren 1775 – 77 mit dem Titel Briefe über einige Einwürfe nochlebender Freygeister wider die Offenbarung benutzt hat. Wiegrebe interpretiert Hallers Erwiderung auf Voltaires Bibelkritik, die Haller in der Form fingierter Briefe verfasst hat. Interessant wird es, wenn Wiegrebe nicht nur die Aussagen der beiden Autoren zusammenfasst, sondern Hallers Argumente mit seiner Doppelkompetenz als Theologe und Naturwissenschaftler interpretiert; so zum Beispiel, wenn er aus Steinen herausfahrende Kugelblitze als Wassergas erklärt, das aus glühendem Kohlestoff und Wasser entsteht.

Die letzte Schrift, auf die Wiegrebe in seiner Arbeit eingeht, ist Hallers Vorrede zu einer Übersetzung. Haller übersetzte eine von Johann Heinrich Samuel Formey verfasste Zusammenfassung eines Werks von Jean-Pierre de Crousaz, das sich gegen Skeptizismus und Deismus, insbesondere bei Pierre Bayle, richtet. Die bibliographische Angabe – es handelt sich um das Werk Examen du pyrrhonisme ancien et moderne (1733) – fehlt bei Wiegrebe, auch weist er nicht darauf hin, dass Formeys Kürzung nicht wie ursprünglich geplant auf Französisch gedruckt wurde, sondern nur in der deutschen Übersetzung Hallers.

Hallers Übersetzung erschien 1751 mit einer programmatischen Vorrede unter dem Titel Prüfung der Secte die an allem zweifelt. Darin entwickelt Haller seine Vorstellungen von einem geordneten Staat, die sich auch als physikotheologisch beschreiben lassen, da Haller in einem geordneten Staatsgefüge das Spiegelbild einer von Gott in der Natur gesetzten Ordnung sieht.

Wiegrebe erklärt in seiner Arbeit Hallers anatomisches, physiologisches und botanisches Forschen im Lichte heutiger naturwissenschaftlicher Kenntnisse und setzt es in Verbindung mit Hallers religiösem Denken. Mit diesem Naturwissenschaft und Theologie verschränkenden Interpretationsansatz vermag Wiegrebe trotz der aufgezeigten Mängel neue Aspekte in Hallers Physikotheologie und Apologie des Christentums aufzuzeigen.

Zitierweise:
Daniela Kohler: Rezension zu: Wiegrebe, Wolfgang: Albrecht von Haller als apologetischer Physikotheologe. Physikotheologie: Erkenntnis Gottes aus der Natur? Frankfurt am Main: Peter Lang 2009 (Untersuchungen zum christlichen Glauben in einer säkularen Welt, Bd. 5). Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 3, Bern 2010, S. 98-100.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 3, Bern 2010, S. 98-100.

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